Erhaltung alter Obstsorten

Die Prignitz ist nie ein traditionelles Obstanbaugebiet wie z.B. das Alte Land bei Hamburg oder Werder bei Berlin gewesen. Aber für die Selbstversorgung der Bevölkerung gab es immer Obstbäume. Ob Birnen, Äpfel, Pflaumen oder Kirschen, sie alle wurden in Gärten, an Wegesrändern und auf Kirchhöfen gepflanzt. Besonders in Pfarrgärten aber auch in alten Schulgärten sind oftmals noch heute die schönsten Sorten zu finden, weil insbesondere Pfarrer und Lehrer die Kunst des Bäume-Veredelns beherrschten. Wertvolle Sorten wurden von ihnen auf diese Weise vermehrt und in ihren Gärten aufgepflanzt. Manchmal sind diese noch in den Pfarr- und Schulgärten erhalten gebliebenen alten Bäume die letzten ihrer Sorte.

Schon früher gab es Obstsorten, wie zum Beispiel den Kaiser Wilhelm, die nahezu deutschlandweit zu finden waren. Sie hatten sich bewährt, wuchsen fast überall gleich gut und wurden so mit den Jahren immer weiter verbreitet. Da aber zur damaligen Zeit alles noch etwas kleinstrukturierter und nicht so „global“ war, gab es, neben diesen auch früher schon weit verbreiteten Sorten, je nach Region noch viele unterschiedliche andere Obstsorten.Diese waren oftmals, abhängig vom Klima oder Boden, eben nur in dieser Region zu finden. Häufig gab es eine Sorte sogar nur im Bereich eines Dorfes, sogenannte lokale Sorten. Sie alle wurden von Generation zu Generation hoch geschätzt, durch Veredelung erhalten und immer wieder neu aufgepflanzt. Erst in den letzten 50 - 60 Jahren verloren die alten lokal- und regionaltypischen Sorten immer mehr an Wert und Bedeutung und wurden nicht mehr nachgepflanzt.

Wenn man heute einen Obstbaum pflanzen möchte, bekommt man mittlerweile sogar wieder einige alte Sorten im Handel. Neben neuen Sorten wie Retina und Pinova stehen nun auch wieder Gravensteiner, Cox Orange und Ontario zum Kauf bereit. Doch auch diese alten Sorten sind deutschlandweit verbreitet und spiegeln nicht die Vielfalt an Obstsorten wieder, die für die einzelnen Regionen früher so typisch war.


Daher reizte es mich in den letzten Jahren immer mehr, nicht nur die üblichen im Handel erhältlichen Obstbäume alter Sorten zu kaufen und aufzupflanzen, sondern ich fing an, die Obstbäume, die in und rund um Dannenwalde wachsen, genauer zu betrachten. Und ich entdeckte viele verschiedene Sorten. Einige von ihnen konnten mittlerweile von Pomologen (Obstsortenspezialisten) bestimmt werden, andere noch nicht.


Die meisten der Obstbäume in der Umgebung von Dannenwalde sind bereits sehr alt und ihr Ende ist abzusehen. Viele mussten auch schon dem einen oder anderen Landwirt weichen - an ihrer Stelle wächst jetzt Mais. Zwei riesengroße Birnenbäume des alten Pfarrgartens standen dem geplanten Spielplatz im Wege. Eine Bestimmung der Sorten war aufgrund der kurzfristigen Fällaktion leider nicht mehr möglich und die geretteten Reiser, die ich zum Veredeln gab, sind nicht angewachsen.


Doch mit jedem gefällten oder abgestorbenen Obstbaum, der nicht vorher bestimmt und gegebenenfalls durch Veredelung erhalten werden konnte, geht das letzte Wissen über die Obstkultur unserer Gegend verloren. Bisher gibt es kaum Aufzeichnung über prignitztypische Sorten. Aus unserer Gemeinde ebenso wenig, wie aus der gesamten Prignitz.


Bekannte Sorten von denen es auch Beschreibungen gibt, sind zum Beispiel die Lenzener Burgbirne oder der Herzvater-Apfel. Die Lenzener Burgbirne gilt leider seit langem als verschollen. Vermutlich gibt es wirklich nirgends mehr einen Baum dieser Sorte. Vielleicht steht aber auch noch irgendwo einer am Wegesrand und wartet auf seine Wiederentdeckung. Die Apfelsorte „Herzvater“ hatte mehr Glück. Vor wenigen Jahren fiel der letzte bekannte und uralte Baum einem Sturm zum Opfer. Nur weil gerade noch rechtzeitig Reiser genommen wurden, konnte diese alte regionale Sorte am Leben erhalten werden. Mittlerweile gibt es bereits wieder einige wenige junge Herzvater-Bäume. In diesem Frühjahr veredelte auch ich vier Herzvater-Äpfel für unseren Hof.


Spezialisten gehen davon aus, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren nahezu alle alten Obstbäume regionaltypischer Sorten abgestorben sein werden. Alle bis dahin nicht bestimmten Sorten gehen somit für immer verloren, wenn sie nicht zuvor durch Veredelung erhalten werden.

 

Dieses Frühjahr habe ich bereits viele Bäume aus dem Dannenwalder Umfeld auf junge Unterlagen veredelt. In den kommenden Jahren möchte ich zusätzlich die seltenen und besonderen Sorten der gesamten Prignitz in diese „Rettungsaktion“ mit einbeziehen und dann auf unserer Streuobstwiese aufpflanzen. Daher bin ich für jeden Tipp aus der Bevölkerung dankbar: Wenn Ihnen ein Apfelbaum oder Birnenbaum bekannt ist, der Ihnen als erhaltenswert erscheint, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mir Bescheid geben würden. Gerade bei Birnen gibt es auch solche, die aus der heutigen Sicht keinen Nutzen mehr zu haben scheinen, weil sie hart oder sehr klein sind. Harte Früchte sind aber oftmals einfach Lagerbirnen, die erst im Winter reifen oder aber Kochbirnen, die erst nach dem Erhitzen ihr Aroma entfalten. Bei Birnbäumen mit sehr kleinen Früchten besteht die Möglichkeit, dass diese früher zur Herstellung von Birnenbränden verwendet wurden. Auch diese heute scheinbar nutzlosen Sorten möchte ich durch Veredelung bewahren, Es gab sogar Birnensorten, die fast nur für bestimmte Rezepte, wie zum Beispiel ,,Birnen, Bohnen und Speck'' ihre Verwendung fanden.

 

Vielleicht kennen Sie ja sogar noch ein Rezept, für das Ihre Großeltern eine ganz bestimmte Sorte verwendeten. Auch über eine solche Nachricht würde ich mich sehr freuen.
Diese Geschichten geraten in Vergessenheit, wenn wir sie nicht jetzt noch festhalten.

 

Warum lassen sich die alten Sorten denn nicht einfach durch ihre Kerne erhalten?


Jedes Jahr reifen in allen Birnen und Äpfeln viele kleine Kerne heran. Doch wenn sich aus diesen Kernen neue Bäumchen entwickeln, haben diese nicht die Eigenschaften, die der Mutterbaum hatte. Jeder neue Baum hat andere Eigenschaften.
Dann könnte ja aus jedem Kern eine gut schmeckende Obstsorte werden. Aber ganz so ist es nicht:


Von den vielen Kernen haben nur relativ wenige die Eigenschaft, zu einer verwertbaren neuen Sorte zu werden. Manche sind zu sauer, zu klein, oder sie verderben extrem schnell.
Viele der Alten Sorten sind oftmals durch die Selektion solcher Zufallssämlinge entstanden.


Wie bewahrt man nun aber eine Apfelsorte, wenn es nicht über das Aussäen von Kernen funktioniert?


Dafür muss man die Bäume veredeln. Veredeln bedeutet, dass man von dem Baum, den man vermehren möchte, einen einjährigen Trieb, ein sogenanntes Edelreis, abnimmt und dieses an einem jungen Trieb oder Ast eines anderen Baumes mit einem Veredlungsschnitt anbringt.

Oftmals verwendet man dafür sogenannte Unterlagen. Das sind junge, meist einjährige kleine Bäumchen, denen die Spitze weggeschnitten und stattdessen das Edelreis darauf aufgesetzt wird. Wenn bei dieser Veredelung alles gutgeht, wachsen die Unterlage und das Edelreis zusammen und ein neues Bäumchen mit genau den Eigenschaften des alten Baumes ist entstanden.


Auf diese Weise werden Obstsorten bereits seit Jahrhunderten bewahrt. Auch ich führe Auftragsveredelungen durch, wenn Sie einen Apfel- oder Birnbaum auf einer jungen Unterlage erhalten haben möchten.